Der Verleger im Stillstand

4. Februar 2010

Im usenet und in der Bloggerszene, jenem „Wurmfortsatz“ des Qualitätsjournalismus, würde der Beitrag von Vittorio Klostermann, den er heute in gedruckten der FAZ veröffentlichen durfte/sollte, mit dem hashtag #merkbefreit ausgezeichnet werden.

Das wäre jedoch nicht nur unhöflich, sondern ungewöhnlich. Denn der Verleger hat sich bislang weder durch „piratiges“ Verhalten (#cybermob) noch durch unqualifizierte Beiträge zu Open Access  bemerkbar gemacht, vielmehr durch eine redlich-ergebnisoffene und realistische Position ausgezeichnet. Man muß nicht einer Meinung sein – und meiner schon gar nicht, aber man muß miteinander sprechen und nicht nur übereinander. Das inkludiert die Rezeption der verschiedenen Thesen und Sachargumente und den Willen zum intellektuellen Fortschritt.

Und genau an dieser Stelle wundere ich mich, daß Herr Klostermann die „Anliegen und Desiderate für einen Dritten Korb“ (zum Urheberrecht), welche die  „Schwerpunktinitative „Digitale Information“ im Juni 2009 veröffentlichte, zum Anlaß nimmt, sich daran auf ein Neues abzuarbeiten, wie man heute so sagt.

Eigentlich dachte ich, mit der Frankfurter Tagung „Autorschaft als Werkherrschaft“ vom 15. Juli 2009 sei alles gesagt und man hätte sich wieder Wichtigerem als der gekränkten Eitelkeit eines Heidelberger Literaturwissenschaftlers zuwenden können – der Zukunft des Urheberrechts beispielsweise.

Stattdessen müssen wir erfahren, daß ein halbes Jahr und eine nicht unerfolgreiche Petition zu Open Access später wir mit denselben Strohpuppen und denselben Argumenten kofrontiert werden, wie zu Beginn der mating season 2009. Oder möchte Vittorio Klostermann an „alte Erfolgeanknüpfen? Als wäre nichts gewesen?

Als wäre nichts gewesen, bekommen wir inhaltlich Identisches vorgesetzt, werden dieselben Strohpuppen aufgebaut und abgefackelt: Der Verleger wähnt sich, Partei zu ergreifen für die wissenschaftlichen Autoren, deren Urheberrechte er eingeschränkt sieht durch die Forderung der Allianz nach einer „allgemeinen Wissenschaftsschranke für den digitalen Zugriff auf wissenschaftliche Texte“. Soll heißen: genauso, wie wir Wissenschaftler und wie die Studenten bislang kostenlosen Zugang zu wissenschaftlichen Texten in Bibliotheken hatten und haben, genau so sollen digitale Texte, also das Arbeitsgerät von Studenten und Wissenschaftlern in einer technisch fortgeschrittenen Welt zugänglich sein. Und das nicht nur in den physischen Bibliotheken, sondern überall, in den Arbeits-, Studier- und Lehrräumen sowie in den privaten Studierstuben, denn wissenschaftlich produktiv ist man meistens in den eigenen vier Wänden.

Diese Forderung nach einem Mitwachsen des Zugangs zu wissenschaftlichen Texten ist die logische und reale Konsequenz aus der Tatsache, daß viele Universitäten ihrem Lehrkörper und der Studentenschaft überall auf dem Campus über WLAN Zugang zum Netz bieten und rund 80% meiner Studenten einen Laptop mit ins Seminar bringen, mit dem sie parallel zur Veranstaltung recherchieren können.

Anstelle Verständnis für geänderte usancen und Mentalitäten zu signalisieren und produktive Vorschläge in die Diskussion um eine nicht erst 2009 eingesetzte Entwicklung einzubringen, wird den bildungsbürgerlichen FAZ-Lesern das alarmistische Menetekel von der „endgültigen Abschaffung des Urheberrechts“ an die Wand gemalt – eine Unterstellung, die „dreist“ zu nennen, meiner euphemistischen Grundeinstellung geschuldet ist.

Konsequent realitätsfern moniert Vittorio Klostermann den Wunsch der Allianz nach Entfristung des UrhG § 52a, also jener Erlaubnis, digitales Material zu Lehr- und Unterrichtszwecken ins universitäre Intranet zur frei Verfügung der Kursteilnehmer zu stellen. Meint er, wir könnten das Rad zurückdrehen und vom eLearning in der „cloud“, also dem gemeinsamen Zugriff auf digitale Texte von Zuhause aus uns wieder verabschieden? Richtig ist, daß die digitale Kultur dem Markt der gedruckten (Lehr-)Bücher nachhaltig wirtschaftlich Schaden zugefügt hat und weiter Schaden zufügen wird. Allerdings wird das sich auch ohne § 52a nicht ändern, denn 1) haben die Studenten durch die Studiengebühren weniger Geld für Lehrmittel zur Verfügung und 2) hat sich die Erwartungshaltung und der Zugriff auf Textmaterial bzw. Medien grundlegend geändert.

Besonders das Lehrpersonal an Universitäten muß sich mit diesen mentalen und pratikschen Veränderungen im Konsum und Umgang mit den Medien anpassen, will es die nachfolgenden Generationen nicht im Stich lassen oder bewußt unverstanden im Regen stehen lassen. Wer heute eine auch wissenschaftliche Fachinformation sucht, geht ins Netz und nicht in die Bibliothek. Und was im Netz und in der eigenen Universitätsbibliothek nicht zu finden ist, das wird nicht herangezogen, das existiert einfach nicht. Das mögen Kulturpessimisten kurzsichtig, wie sie sind, entsetzlich finden, aber das ist das Vorrecht, jeder Generation, das Kommende mit Ablehnung zu betrachten. Geändert hat das noch nie etwas.

Auch das garantierte und unabdingbare Zweitverwertungsrecht der Urheber an ihren Texten ist dem Verleger ein Dorn im Auge. Verständlich, daß er die Forderung, wissenschaftliche Texte, die von öffentlicher Hand finanziert werden, sollen der Öffentlichkeit auf kostenlos zur Verfügung gestellt werden, ablehnt. Denn das bedeutet, daß kein wissenschaftlicher Autor exklusiv und umfassend seine Nutzungsrechte an die Verlage abtreten kann – eine Vereinbarung, die regelmäßig seitens der Verlage zur Voraussetzung für die Veröffentlichung gemacht wird. Bislang bleibt dem Autor nur übrig, entweder sich dem Diktat des Verlegers zu beugen oder eben nicht (dort und dort und dort …) zu publizieren.

In einer sich ändernden Welt, in einer sich ändernden Gesellschaft soll die Politik dafür sorgen, daß für die Verleger alles so bleibt, wie es ist. Autoren sollen ihre Rechte an die Verlage im Paket abtreten, Bibliotheken sollen Zeitschriften und Bücher kaufen und Nutzer sollen sich den Lizenzbedingungen anpassen. Alle sollen sich anpassen – nur die Verleger nicht. Denn – so das Fazit des FAZ-Beitrags – wenn sich die Verlage bewegen, sie nach neuen Wegen suchen müßten, würde das deren Tod bedeuten. Denn nur die „Großen“ werden überleben, die „Kleinen“ müßten „unterschlupfen“ oder würden elendiglich eingehen.

Was aber, wenn sich die Verlage nicht zu bewegen brauchen? Weil ihnen die Politik gesetzgeberische Schützenhilfe liefert? Werden sie gemeinsam den technischen Fortschritt und die durch das Internet geprägte Gesellschaft aufhalten und zum gleichen Stillstand zwingen können?

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß viele meiner geisteswissenschaftlichen Kollegen, die gleichaltrig oder älter sind, der Open-Access-Bewegung genauso skeptisch gegenüberstehen wie Vittorio Klostermann. Auch die Punk-Szene oder die Emo-Kultur ist ja nicht jedermanns Sache. Aber was ist mit den Studenten? Aus Kindern werden Eltern und aus lesenden Studenten werden schreibende Wissenschaftler.

Wie lange werden die Verlage die Fiktion vor sich selbst aufrechterhalten können, sie würden die Interessen der Urheber und der Wissenschaften vertreten, wenn die nächste Generation „Google“ in den kommenden fünf Jahren antritt und den barrierefreien und kostenlosen Zugang zu wissenschaftlicher Fachinformation erwartet und ihn den Lesern und neuen Studenten selbstverständlich bieten will?

Vittorio Klostermann, die Verlage sollten der Allianz und den Wissenschaftsorganisationen dankbar sein. Dankbar dafür, daß sie ihnen sagen und zeigen, was sich verändern wird. Weil wir Wissenschaftler die Zukunft mit unseren Verlagen erleben und gestalten wollen – und nicht ohne sie.

 


Der Kulturstaatsfeind

28. November 2009

Der „Beauftragte für Kultur und Medien“ der Bundesregierung, Dr. Bernd Neumann, hat dem Magazin „promedia“ ein Interview gegeben:

promedia: Soll die bisherige Regelung zur Privatkopie beibehalten werden?

Neumann: Es ist sicher zu früh, sich abschließend zu äußern, hierzu möchte ich zunächst das Gespräch mit den Beteiligten suchen. Man sollte sich aber vor Augen halten, daß es kein „Recht auf Privatkopie“ gibt. Die Informationsfreiheit gebietet auch nicht etwa einen kostenlosen Zugang zu Kulturgütern. Das wurde alles schon sehr ausführlich im Rahmen des 2. Korbes diskutiert. Damals wurden allerdings auch Zweifel laut, ob weitere Einschränkungen der Privatkopie wirklich effektiv und mit Rücksicht auf die Verbraucher durchsetzbar wären. Wie gesagt, ich möchte dies gern weiter mit den Betroffenen diskutieren.

Watchgoat

Watchgoat

Sehr geehrter Herr Dr. Neumann,

mit großem Unverständnis lese ich, daß Sie das seit Jahrzehnten heiß umkämpfte und den Werkvermittlern sukzessive aufgeweichte Recht der Nutzer auf Privatkopie erneut zur Disposition stellen. Jedenfalls läßt Ihre Aussage, es gebe kein „Recht auf Privatkopie“ keine andere Interpretation zu, als daß mit Ihrer Zustimmung die Rechte der Nutzer von Immaterialgütern (Bild, Film, Text und Tonaufnahmen) weiter beschnitten und zurückgedrängt werden sollen.

Gerade mit Blick auf die von Ihnen formulierte Aufgabe, Gesetze bzw. Gesetzgebungsverfahren auf ihre „Kulturverträglichkeit“ zu prüfen, hätte ich mir von Ihnen wenigstens eine ausdrücklich neutrale Position erwartet, wenn Sie aus Rücksichten auf die Verbände der Vermittler von Immaterialgütern nicht zu einer affirmativen und unterstützenden Haltung durchringen konnten.

Denn das Recht auf Privatkopie ist – anders als es naturgemäß die Werkvermittler sehen – einer der Grundpfeiler einer vitalen und kreativen Kultur und nicht nur im Interesse der privaten Nutzer, sondern auch im Interesse der Urheber. Denn anders als es Musikindustrie oder der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Glauben machen wollen, ist es vorrangige Bedürfnis von Autoren, Künstlern und Musikern, daß ihre Kunst und ihr Werk verbreitet, wahrgenommen und diskutiert wird. Es ist nicht der Ausgangspunkt oder der Motor meines kreativen und wissenschaftlichen Schaffensprozesses, an der Verbreitung meiner Werke materiell beteiligt zu sein, sondern das Werk selbst als Ausdruck meiner selbst, meiner wissenschaftlichen und menschlich-philosophischen Erkenntniskraft ist das Ziel des kreativen Prozesses.
Die Reduzierung des Wertes künstlerischen oder wissenschaftlichen Schöpfertums auf den aus dem und durch das Werk zu erzielenden materiellen Gewinn verkennt den wesensmäßigen, aber auch historischen Wert künstlerischer Leistungen.

Wie alle meine Kolleginnen und Kollegen will auch ich mit den Früchten meiner Schaffenskraft ein meine Lebensumstände sicherndes Auskommen erzielen, um frei von materiellen Sorgen meine intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten für die Gesellschaft nutzbringend einsetzen zu können.

Aber ich will nicht, daß durch die – um es in moralischen Kategorien zu sagen: Gier nach Kontrolle und Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Gewinnmaximierung Kunst und Kultur im Bewußtsein der Menschen zu einer mit einem Preisetikett versehene und von gesetzgeberischen Regulierungen abgeschotteten Ware degradiert wird.
Je mehr das Recht aus Privatkopie zurückgedrängt wird, desto mehr wird auch die Kunst und Kultur aus der allgemeinen Wahrnehmung zurückgedrängt werden; genauso wird auch der selbstverständliche Umgang und die Nutzung von kreativen Leistungen Schaden nehmen. Ob Radiomitschnitte, Musikkassetten mit Kompilationen der Lieblingssongs für die morgendlichen Joggingrunde oder fürs Auto, Kopien von mit heißer Feder durchgearbeiteten Büchern, die man nicht mit handschriftlichen Anmerkungen verzieren möchte oder eine Sicherungskopie wichtiger pdf-Dokumente, die schneller und unwiederbringlicher durch einen Computerabsturz verloren gehen können als Inkunabeln in Klosterbibliotheken bei einer Feuersbrunst – all’ dies ist durch das Recht auf Privatkopie möglich.
Würden junge Menschen Musik nicht mehr kopieren und weitergeben dürfen, würden Zeitungsleser einen interessanten Feuilleton-Artikel nicht mehr kopieren und an gute Freunde zur anregenden Lektüre weiterreichen dürfen, dann würde die Kultur nicht reicher werden, sondern dann würde sie ärmer werden. Denn der Verbreitung von Kulturgütern aller Art würde allein aus kommerziellen Gründen ein (gesetzlicher) Riegel vorgeschoben werden, und – was ich für bedrohlicher halte: Kultur wird nur noch von jenen wenigen Menschen rezipiert, verbreitet und weiterentwickelt werden können, die es sich materiell leisten können.

Der markt- bzw. betriebswirtschaftliche Wert von Immaterialgütern im Internet – Dateien – tendiert durch ihre prinzipiell unendliche Vervielfältigbarkeit und damit unendliche Verfügbarkeit gegen Null. Die mit dem Schutz von Dateien wie digitaler eBooks oder mp3-Musikdateien mittels DRM vor Vervielfältigung einhergehende Gängelung, überwachung und Einschränkungen der Nutzung und der Nutzer selbst stößt bei den Menschen allgemein auf Mißtrauen und unverhohlene Ablehnung. Die Löschung der digitalen Ausgabe des Buches „1984“ durch die Firma Amazon hat jene Beklemmung bestätigt, die die Bürger angesichts der technischen Schutzmechanismen beschlichen hat.

Wo die Nutzung von Immaterialgütern in digitaler Form der Kontrolle und der Beschränkung ausgesetzt ist, wo in die Privatsphäre der Nutzer eingebrochen wird, ist auch der freie und selbstbestimmte Bürger, der Citoyen in Gefahr. Die Privatkopie ist Ausdruck und Teil jener bürgerlichen Privatsphäre, die nötig ist, um am kulturellen und politischen Leben in einer Demokratie, die ihren Namen auch verdient, zu partizipieren und eine vitale menschliche Gesellschaft zu erhalten. Echtes Bürgertum und echte individuelle Freiheit sind untrennbar miteinander verbunden; sie können nur dort gedeihen, wo weder Staat noch partikuläre Institutionen und Interessen den privaten Raum, das Individuelle kontrollieren und lenken.
So verderblich die gewerbsmäßige Ausbeutung kreativer Leistungen für eine Kultur einer Gesellschaft ist, so förderlich ist der individuelle, freie und schöpferische Zugriff darauf. Kein kreatives Werk eines Individuums, keine kulturelle Leistung einer menschlichen Gesellschaft ist „ex nihilo„ entstanden, die Originalität des Genies ist keine voraussetzungslose creatio eines von der Geschichte unabhängigen und absoluten Geistes.

Das Recht auf Privatkopie schützt nicht nur den Nutzer und seine Interessen, sondern auch den (künftigen) Urheber, als es ihm einerseits selbst als Nutzer der kreativen Werke seiner künstlerischen Ahnen und Vorbilder möglich ist, diese inspirierend für eigene neue Werke zu nutzen, andererseits, weil der Urheber sein Werk, „sein Kind“ in die freie Welt entläßt, wo es sich auch nach dem Ende des eigentlichen Schaffensprozesses weiter durch Rezeption, Kommentierung, Wahrnehmung und Verbreitung verändert, weiterentwickelt und es weiter wächst.

Ganz prosaisch ist auch eine weitere Einschränkung der Privatkopie und damit der Nutzungsmöglichkeiten von Immaterialgütern in den Zeiten des Internets kaum einen Nutzer mehr intellektuell plausibel zu machen. Im Gegenteil, denn kaum jemand, der weiß, daß es untersagt ist, technische Schutzmaßnahmen zu umgehen, läßt sich davon abhalten, sobald man sich in seiner persönlich als legitim angesehenen Nutzungsfreiheit eingeschränkt fühlt. Jeder Gesetzeskorpus bedarf zu seiner Legitimation und Durchsetzbarkeit eines gesellschaftlichen Grundkonsenses, der die Einhaltung von Vorschriften für wünschenswert hält und damit die einzelnen Bestimmungen für prinzipiell anerkennenswert.

Wo einzelne gesetzliche Bestimmungen einseitige Interessensvertretung wiederspiegeln und nicht auf einen tatsächlichen Ausgleich bedacht sind und somit keinen praktischen Rückhalt in der gesamten Gesellschaft haben, gefährden diese prinzipiell die Anerkennung des gesamten Korpus. Das Urheberrecht muß erkennbar die berechtigten Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten regeln, als die Interessen und Bedürfnisse von Urhebern und Werkvermittlern und Nutzern, will es nicht in eine Legitimitätskrise geraten.

Ich würde mich freuen, wenn Sie, Herr Dr. Neumann, Ihre Worte wahrmachen würden und diese und andere Fragen eines neuen und zeitgemäßen Urheberrechts mit allen Betroffenen, also auch den Nutzern von Immaterialgütern diskutieren würden.

Gerne stehe ich dabei als Wissenschaftler, Urheber und Nutzer zu Verfügung.

Joachim Losehand (by-nc-sa)


Kader, Konvertiten, Kandidaten

16. Oktober 2009

Udo Hempel kandidiert für den niedersächsischen Landesvorstand der Piratenpartei

Watch out for the draco who cometh in futurum to gnaw your anima! Death is super nos! Pray the Santo Pater come to liberar nos a malo and all our sin! Ha ha, you like this negromanzia de Domini Nostri Jesu Christi! Et anco jois m’es dols e plazer m’es dolors… Cave el diabolo! Semper lying in wait for me in some angulum to snap at my heels. But Salvatore is not stupidus! Bonum monasterium, and aqui refectorium and pray to dominum nostrum. And the rest is worth merda. Amen. No?“ (Umberto Eco, Name of the Rose)

Der Eintritt von Udo Hempel, eines „ehemaligen Kameradschaftskaders aus Sachsen“, in den Landesverband Niedersachsen der Piratenpartei bietet erneut Anlaß zu Spekulationen, auf welchem Kurs die junge Partei segelt. Die Grüne Jugend Niedersachsen fordert zusammen mit ihrem Sprecher Sven-Christian Kindler nun von den Piraten einen „klaren Kurs gegen Rechtsaußen„, „nicht nur im Fall [Udo] Hempel“ habe „die Piratenpartei in jüngster Zeit schon mehrfach eine deutliche Abgrenzung gegen Rechtsaußen vermissen lassen“. Die Haltung und die Äußerungen Bodo Thiesens sowie das Interview von Andreas Popp in der „Jungen Freiheit“ seien hierfür sprechende Indizien.

Starboard I

Starboard I

Nun hat sich Udo Hempel auf eine Position im Landesvorsstand der Piraten Niedersachsen beworben. Seine Kandidatur stellt zweifelsohne eine Herausforderung dar.

Eine Herausforderung an seine Mit-Piraten und auch eine Herausforderung an die Nicht-Piraten, an die Massenmedien und die politisch interessierten und kritischen Bürger dieses Landes.

Wie er in der Mailingliste der Piraten Niedersachsen bei seiner Kandidatur offen angesprochen hat, stellt seine Biographie, seine „Vergangenheit“ „für den ein oder anderen ein Problem dar“. Damit meint er wahrscheinlich, daß nicht jeder Pirat ohne weiteres Zögern einem Menschen mit seiner politischen Herkunft Vertrauen schenken kann, genauso, wie ja auch manche in den Medien entsprechende Vorbehalte über seine Aufrichtigkeit der Umwendung o. ä. geäußert haben.

Nun gibt es in gewisser Weise diesen „biographische Vorbehalt“ auch in anderem Kontext, z. B. bei Klaus Wowereit und Dr. Guido Westerwelle. Nicht jeder Bürger möchte einen (offen lebenden oder überhaupt einen) Homosexuellen in einem hohen öffentlichen Amt sehen, manche haben diese Bendenken vielleicht auch bei Frauen, viele sicher bei Transsexuellen usw.

Während in unserer gender-orientierten medialen Gesellschaft die sexuelle Orientierung nicht mehr ein Negativ-Merkmal ist, sondern – wie auch eine Biographie mit Migrationshintergrund – im Sinne der political correctness durchaus erwünscht ist, ist ein (ehemals) rechtsextrem orientierter Hintergrund zweifelsohne in den Medien politically incorrect.

Die Herausforderung Udo Hempels ist eine doppelte: sie ist positiv, weil sie den Piraten und der Gesellschaft die Gretchen-Frage stellt. „Wie halten wir’s mit politischen Konvertiten?“ lautet die Frage an die Piraten und an uns Bürger. Wir wollen einerseits demokratie- und auch aufklärungsfeindliche Bewegungen am rechten und linken Rand schwächen, bieten aber offensichtlich keine alternative Partizipationsmöglichkeit für jene an, die, was die Demokratie eigentlich begrüßen und fördern müßte, sich von den ideologischen Extremen abwenden und aktiv an und in der Demokratie mitarbeiten wollen.

Die Herausforderung ist aber auch negativ, denn auch Udo Hempel wird sich keine Illusionen darüber machen, daß seine Biographie seine fachliche Kompetenz in der Wahrnehmung trübt, die Piraten entscheiden nicht nur für oder gegen ihn als Medienpirat im Vorstand, sondern auch für oder gegen ihn als politischer Konvertit vom äußeren ideologischen Spektrum.

Zudem wird die Wahrnehmung der Medien nicht anders sein, es werden die politisch opportunen Schlüsse aus Udo Hempels Wahl oder Nicht-Wahl gezogen werden, die Interpretation wird entweder lauten: „Piraten positionieren sich gegen Rechts“, wenn er nicht gewählt wird, oder: „Piraten wählen ehemaligen rechten Kameradschaftskader in den Landesvorstand“ und werten das natürlich als Signal der politisch „rechten“ Gesinnung in der Piratenpartei.

Damit kann es passieren, daß die politischen und sachorientierten Anliegen der Piraten überschattet werden von der üblichen „Rechts“- „Links“-Debatte sowie im weiteren potentielle Interessenten und Fachleute abgeschreckt
werden und ihre Mitarbeit mit den Piraten auch in unabhängigen und parteiferneren Runden verweigern.

Ich gebe offen zu: Ich habe meine Meinungsbildung hier noch noch nicht abgeschlossen. Ich weiß nur: Udo Hempels Kandidatur ist eine Herausforderung. Ob sie auch ein Problem ist, darüber bin ich mir mit mir nicht einig.

(Joachim Losehand, by-nc-sa)


Kultur flachgelegt?

8. Oktober 2009

Die Piratenpartei und die Kulturflatrate

Ich kann nicht erkennen, was daran verkehrt ist, in einem konstruktiven und ergebnisorientierten Diskurs sich gegenseitig auf argumentative Schwachstellen aufmerksam zu machen.

Die Auswirkungen, die die Entwicklung des www auf die Urheber, ihr Werk, die Intermediären, die Nutzer und deren Verhältnis untereinander und zueinander bislang hatte und haben wird, sind umfassend und vielfältig.

Es ist keineswegs verwunderlich, daß keine der beteiligten Gruppen (Nutzer, Intermediäre und Urheber) eine allseits befriedigende und zukunftsfähige Gesamtlösung auf den Tisch legen können. Vielmehr wird an vielen Ecken und Enden überlegt und die Konsequenzen aus diesen Teillösungen für das Ganze sind nicht wirklich absehbar.

Gestehen wir uns also alle Fallibilität, Irrtumsfähigkeit, sowie die Möglichkeit der Entwicklung zu.

Rough Cilicia II

Rough Cilicia II

Persönlich bin ich von einer Kultur-Flatrate nicht überzeugt – und nicht nur, weil ich die Verbindung von „Kultur“ und „flach“ in einem Begriff mißtrauisch beäuge.

Entscheidend ist für mich, daß eine solche Pauschalabgabe für die Nutzung von lizensierten, urheberrechtlich und durch Nutzungsverträge geschützten Werken im www jene vertikale Kommunikation von „Urheber“ zum „Konsumenten“ voraussetzt, die so gerade im www nicht klar gezogen werden kann.

Denn – und hier muß ich widersprechen – die Piratenpartei argumentiert nicht „Konsumenten-orientiert“(, was allerdings angesichts der vornehmlich zulasten der Nutzer getroffenen Bestimmungen im UrhR eigentlich nicht verkehrt ist).

Die Piratenpartei argumentiert Nutzer-orientiert, denn das Internet bietet im Sinne seiner horizontalen Kommunikationsstruktur jedem Internet-Nutzer die Möglichkeit, selbst aktiv und damit zum Urheber zu werden und nicht (nur) passiv und – somit Konsument zu bleiben.

Eine „Kulturflatrate“, die von Nutzern einen Obulus erhebt und an dieselben Nutzer einen Obulus ausschüttet, wobei „jeder Narr“ (um mit Marekt Lieberberg zu reden) dann sowohl Sender als auch Empfänger des Geldflusses sein kann und wohl auch sein wird, ist nur eine gewaltige Geldumwälzungsmaschine, deren Wirkungsgrad möglicherweise noch geringer für den einzelnen Urheber ist als Verwertungsgesellschaften, weil die Zahl der „Empfänger“ theoretisch mit der Zahl der „Sender“ identisch ist.

Zum Zweiten löst eine „Kulturflatrate“ nicht das große Problem, dem sich Kulturschaffende bzw. Urheber gegenüberstehen: Nämlich die Einstellung der Nutzer (Konsumenten) zum Wert künstlerischer Arbeit. Künstlerisches Werk, das durch eine Generalabsolution finanziell abgegolten ist, wird im Bewußtsein der Nutzer (Konsumenten) nicht mehr wert, der ideelle Wert wird aufgrund der universellen Verfügbarkeit (weiter) sinken.

Das Internet bietet bspw. Urhebern die Möglichkeit, direkt (horizontal) im Kontakt mit den Nutzern und Interessenten (Fans) der Werke zu sein und aus dem ideellen Wert eines Werkes für den einzelnen Nutzer einen unmittelbaren materiellen Wert zu ermitteln.

Ob eine „Kulturflatrate“ derartige Effekte und zusätzliche „Nebenwirkungen“ in der Künstler-Fan-Bindung ebenfalls evozieren wird, wage ich zu bezweifeln.

(Joachim Losehand, by-nc-sa)


Die Insel des morgigen Tages

28. September 2009

„Nach der Wahl ist vor der Wahl“ – diese zugegebenermaßen inzwischen recht abgeschliffene Einsicht im Politikgeschehen beschreibt die Zukunft einer Partei besonders: die Zukunft der Piratenpartei.

Die rund 2%, die die junge Partei im Bundesdurchschnitt an Wählerstimmen erzielt hat, erscheinen auf den ersten Blick nicht berauschend – und nicht jede Wahlparty war von ungetrübtem Enthusiasmus befeuert. Ein bisserl mehr hätt’s schon sein dürfen. Andererseits konnte die Piratenpartei die NPD in fast allen Wahlkreisen – vor allem in den Alten Bundesländern – als Kraft neben den „Big Five“ ablösen.

Die Piratenpartei ist eine bundesweite 2%-Partei geworden. Und das wird sie aller Voraussicht nach nicht bleiben. Denn entweder wird die Piratenpartei keine weiteren Wähler mobilisieren können, wird die „Netzgemeinde“ sich einem nächsten Hype zuwenden und es eine Erosion zu den anderen, schon etablierten Parteien geben, die schon (heftig) um Piraten werben. Oder die Piratenpartei kann ihr selbstgestecktes Ziel erreichen, als weiterer Farbtupfer in der politischen Landschaft unser Land aktiv mitzugestalten.

Rough Cilicia I

Rough Cilicia I

Dabei wird es weniger davon abhängen, ob die anderen Parteien die Zentralthemen der Piratenpartei aufgreifen werden, sondern davon, welchen Kurs die Piraten nun selbst einschlagen und welche Segel sie setzen werden.

Können sie die schon zum Markenzeichen gewordene eigene innerparteiliche horizontale Kommunikationsstruktur auch über eine notwendige hierarchische Organisationsanpassung hinüberretten oder werden sie sie nur „hinüberreden“? Werden die „Techniker“, die „Nerds“, die der Partei bislang ihren Stempel aufgedrückt haben, sich reibungsfrei mischen mit anderen auch „offline“-Kulturen, also jenen Menschen, die nicht alle 5 Minuten auf ihren Twitter-Account spingsen und nur hie und da über den Bildschirmrand ihres Laptops etwas in eine real-life-Runde werfen?

Ebenso wichtig wird sein, daß die Piratenpartei für Experten an Attraktivität gewinnt, daß nicht die eskapistischen und ideologischen Weltverbesserer und – Verzeihung – Klugscheißer („and now we want to organize the whole world!“) in den Foren und Mailinglisten die Richtung vorgeben, sondern Fachleute. Denn nur diese werden vertrauenswürdige Repräsentanten der Partei und ernsthafte Ansprechpartner für parteiunabhängige Organisationen sein können.

Neben der Konzentration auf die Kernthemen der Piratenpartei dürfen andere, soziale Felder nicht unbeachtet bleiben. Jedoch darf dies nicht zulasten eben jener Kompetenzen gehen, für die und mit denen die Piratenpartei angetreten ist: Bürgerrecht und Freiheit in der digitalen Informationsgesellschaft. Denn werden diese Themen zugunsten anderer populärerer vernachlässigt, wäre dies ein Verrat an den eigenen Überzeugungen für einen sicherlich nur kurzfristigen Längengewinn.

Ich halte nach wie vor die Analyse von Marcel Weiss für maßgeblich in der Beurteilung der Bedeutung des Internets und der „digitalen Revolution“ für unsere Gesellschaft. Fast alle Lebensbereiche sind inzwischen direkt oder indirekt vom Internet bzw. der digitalen Informationsverarbeitung und -kommunikation betroffen. Das herauszuarbeiten und die „Technikfolgen“ aufzuzeigen wird die zentrale Aufgabe der Piratenpartei sein – und hier zukunftsfähige Lösungen im Dialog zu erarbeiten.

Denn die Piratenpartei bietet kein exklusives Heilsversprechen, das sich nur in und mit der Piratenpartei verwirklichen läßt. Die Piratenpartei ist im Grunde eine überparteiliche Partei, wenn sie sagt, sie sei „nicht links, nicht rechts, sondern vorne“. Die Zeit ideologischer Lagerkämpfe und Parolen wie „Bist Du nicht für uns, bist Du gegen uns“ scheinen in manchen Bereichen langsam aber sicher ihrem Ende entgegen zu gehen.

Ein wichtiger Beitrag der Piratenpartei zur politischen Kultur kann also neben ihrer horizontalen Kommunikations- und Organisationsausrichung auch ihre Sachorientierung sein, die nicht nach Parteilichkeit, sondern nach „richtigen“, nach vernünftigen Lösungen für die Zukunft Deutschlands jenseits dogmatischer Vor-Urteile fragt.

Kommunale und regionale Themen aufzugreifen und die Zentralthemen dabei nicht nur nicht aus den Augen zu verlieren, sondern vor Ort umzusetzen, wird eine der Herausforderungen für die Piratenpartei in den nächsten Monaten sein.

Denn nach der Wahl ist vor der Wahl.

(Joachim Losehand, by-nc-sa)